Gastbeitrag:
Ingeborg Trampe: "Das Ende der Kreativ-Klasse"
Alle reden von Kreativität, aber kaum jemand will angemessen dafür bezahlen. Die Medien- und Werbewirtschaft ist auf dem Weg, ihre besten Köpfe zu verlieren. Ingeborg Trampe über eine Kreativ-Klasse, die sich gerade selbst auflöst.
Alle reden von Kreativität, aber kaum jemand will angemessen dafür bezahlen. Die Medien- und Werbewirtschaft ist auf dem Weg, ihre besten Köpfe zu verlieren. Ingeborg Trampe* über eine Kreativ-Klasse, die sich gerade selbst auflöst.
Neulich rief mich eine Freundin an, eine sehr renommierte und vielfach ausgezeichnete Texterin. Man hatte ihr einen Job angeboten. Die Konditionen waren allerdings zum Haare raufen: Pro Wort wollte man ihr vier Cent bezahlen - inklusive Recherche und Korrektur. Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist längst Realität für Kreative aller Art in Deutschland geworden.
Zwar wird gerne viel über die Bedeutung von Content gesprochen und immer mehr davon auch online und offline produziert. Bezahlt wird für Inhalte jedoch weniger denn je. Und das obwohl die Konjunktur brummt und die Kommunikationsbranche durchaus davon profitiert. Doch Agenturen werden heute mehr als Werkbank für die Produktion von 0815-Werbemitteln bezahlt als für ihr eigentliches Kerngeschäft: Ideen.
Mitte der 90er Jahre sorgte Richard Florida mit seinem Buch über die zunehmende Bedeutung der Creative Class weltweit für Furore. Durch die Vernetzung der Wirtschaft und den Ausbau von Jobs in Wissens- und Kreativsegmenten prophezeite er der neuen kreativen Klasse goldene Zeiten. Und es schien selbstverständlich, dass Berufsgruppen wie Designer, Journalisten und PR- und Agenturleute, die kontinuierlich durch neue Ideen innovative Produkte und Inhalte entwickeln, zu den Nutznießern dieser Entwicklung gehören würden.
Knapp zehn Jahre später mag zwar rein statistisch die Gruppe der Creative Class kräftig gewachsen sein, vom goldenen Zeitalter sind wir allerdings weit entfernt. Die Arbeitsbedingungen sind schlechter denn je, ebenso die Bezahlung. Junge Journalisten werden mittlerweile schlechter honoriert als Handwerker. Werbeagenturen, die sich angeblich heute um die besten Talente kabbeln müssen, behandeln die guten innovativen Köpfe häufig wie Austauschware. Tagesbuchungen entpuppen sich nicht selten als Schichten bis in die Nacht hinein. Unterkünfte für Aufträge in anderen Städten werden entweder gar nicht mehr bezahlt oder gleichen schäbigen Jugendherbergen. Ein Zuschlag für Feiertagsarbeit, früher gang und gäbe, gibt es schon lange nicht mehr.
Auch die lange krisenresistente PR-Branche steht vor dem Umbruch: Immer öfter sehen sich Agenturen mit der Forderung von Unternehmen konfrontiert, nur noch für realisierte Artikel-Platzierungen bezahlen zu wollen. Selbstverständlich auch nur für solche, mit denen der Auftraggeber rundum happy ist. Kein Wunder, dass Journalisten auf die Drückerkolonnenmentalität vieler PR-Leute verschnupft reagieren.
Gleichzeitig wird es immer schwieriger, etwas ungewöhnlichere Themen und unbekanntere Personen in Medien zu platzieren. Auf breiter Front haben die Erlösprobleme der Medien zu einer kolossalen qualitativen Verflachung geführt. Statt sich über gut gemachte Exklusiv-Geschichten zu freuen, die durch Inhalt und Form ganz klar einer Medienmarke zuzuordnen sind, müssen sich Leser durch einen austauschbaren Brei aus Fertigteil-Journalismus quälen, für den sie – zu Recht – nicht mehr bereit sind zu zahlen.
Wo ist die Lust am Entdecken neuer Themen und Köpfe geblieben? Wann liest man mal eine Geschichte, bei der man nicht schon nach dem dritten Satz weiß, wie sie endet? Weil man sie ähnlich schon zig Mal im Internet oder in anderen Print-Medien gelesen hat. Mit billig produziertem Massenjournalismus und rein auf Klickraten optimierten Online-Artikel graben sich die Medien letztlich ihr eigenes Grab. Dazu passt auch die Meldung von Bertelsmann, ihre 2010 mit viel Pompom gestartete Journalistenschule wieder zu schließen. Langfristige Investition in qualitative Inhalte? Fehlanzeige.
Vielleicht vertraut man in einigen Verlagshäusern auch demnächst auf die effektiven Roboterredakteure, von denen in der jüngsten "Wirtschaftswoche" zu lesen war. Im Sommer soll nämlich ein neues Sport-Portal an den Start gehen, dessen Inhalte nicht von Journalisten, sondern Computerprogrammen erstellt wird. Soviel zu Content is King.
Nach außen macht die Creative Class der Medien- und Agenturbranche noch gute Miene zum bösen Spiel. Offen über den miserablen Zustand traut sich kaum jemand zu sprechen, aus Angst keine Jobs mehr zu bekommen. Doch noch nie habe ich so viele gute Leute in den letzten Monaten hinter vorgehaltener Hand darüber reden gehört, dass sie die Branche verlassen wollen. Wenn wir nicht aufpassen, erleben wird schon bald ein Brain-Drain von dem sich die Medien- und Werbebranche nur schwer erholen dürften.
Bereits jetzt bauen sich viele Kreative zweite Standbeine auf, um zu überleben oder suchen händeringend nach Job-Optionen außerhalb der Kommunikationsindustrie. Diese Entwicklung ist nicht nur für die Kreativbranche verheerend, sondern für die gesamte Wirtschaft. Je mehr gute Köpfe der Branche den Rücken kehren, desto mehr Know-how und Innovationspotential gehen verloren. Und das in einer Zeit, in der Deutschland dringlicher denn je eine Antwort finden muss, wie das Land auf den Weltmärkten der Zukunft mitspielen kann.
Aufzuhalten ist die Entwicklung nur durch ein klares und hartnäckiges Bekenntnis zugunsten von Qualität. Und den Mut, dies gegenüber Auftraggebern ohne Abstriche zu verargumentieren. Das setzt jedoch voraus, Inhalte nicht mehr zu verramschen oder Ideen in Vorleistung zu produzieren. Es bedeutet, die Liebe zu Geschichten und Personen wiederzuentdecken und die Achtung vor denen, die sie produzieren. Ich kann nur hoffen, dass diese Entwicklung schneller geht, als ein Kollege der Branche neulich beim Mittagessen prognostizierte. Sonst sind die besten Köpfe der Kreativ-Klasse nämlich längst weg.
*Ingeborg Trampe war Texterin, Journalistin, Agenturchefin und mehrere Jahre lang für die Kommunikation von BBDO Deutschland verantwortlich. Heute berät sie mit ihrem eigenen PR-Büro Trampe Communication Agenturen und Unternehmen.